AUS ZWEITER HAND ZUR ERSTEN WAHL
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DIE VORTEILE VON SECONDHAND
Weitergeben statt wegschmeißen. Secondhand ist, neben der Liebe zur Einzigartigkeit eines Kleidungsstücks, vor allem ein kleiner Schritt zur mehr Nachhaltigkeit. In besonderen Fällen, wie dem folgenden, werden durch den Kauf gebrauchter Kleidung sogar bedürftige Menschen unterstützt. Vor allem ist dies ein kleiner Schritt gegen die Wegwerfmentalität, von der sich in Zeiten des Konsums und Überflusses nur die Wenigsten freisprechen können. Außergewöhnlich, persönlich, ausgefallen – Ware mit echtem Lieblingsstück-Faktor. Über diese Leitgedanken und darüber, wie Nachhaltigkeit in Konstanz gelebt werden kann, weiß das Kleiderwerk Konstanz, der DRK Kleiderladen, seine ganz eigene Geschichte zu erzählen.
Von Carla Sandfort
Auf dem Weg zum DRK-Kleiderladen, einem Secondhand-Store, durchwühle ich in Gedanken meinen Kleiderschrank. Ich frage mich, von welchem Teil ich mich trennen könnte – und von welchem nicht. Viele meiner Kleidungsstücke sind mit einer persönlichen Erinnerung verbunden. Im DRK Kleiderladen werde ich gleich den Erinnerungen anderer Menschen begegnen. In Form von deren Kleidungsstücken. Dieser Gedanke macht mich neugierig und ich bin gespannt darauf, was mich erwartet. Tatsächlich präsentiert sich mir – weitab vom städtischen Alltag und fernab belebter Einkaufsstraßen – ein modernes Gebäude in Peterhausen. Schon am Eingang beindrucken die bodentiefen Fenster. Durch die offene Gestaltung ist sofort erkennbar, was sich in dem Laden verbirgt. Meine Neugier ist geweckt. Die Tür steht offen und verlockt Kundinnen* dazu einzutreten. Mich auch.
Es duftet nach frischer Kleidung
Keine Spur von unangenehmen Plastikgerüchen oder von muffiger, alter Kleidung, die zu lange in dunklen Räumen gelagert wurde. Hier scheint es anders zu sein, denke ich mir, während ich durch den angenehm temperierten Raum schlendere. Es wird gelacht. Anregende Gespräche werden geführt. Und dann all die vielen Farben der Waren! Ein Einkauf hier ist wie eine Schatzsuche. Die Zeit scheint für einen Moment langsamer zu laufen.
DIE ANFÄNGE
Seit 2015 gibt es den DRK Kleiderladen in Peterhausen. Die Gründung des Kleiderwerks durch den DRK Ortsverein Konstanz war gleichzeitig ein Neuanfang im Leben der Leiterin des Ladens, Frau Elke Müller. Damals war sie auf Jobsuche gewesen, als sich plötzlich mehr als nur eine neue Stelle auftat. Ein leerstehendes Geschäft und damit das Angebot, den Kleiderladen zu leiten. Nach langer Suche nach einer erfüllenden Aufgabe wurde ihr schnell klar, dass sie sich dieser Bestimmung stellen wollte. Mit im Gepäck hatte sie eine lange Vorerfahrung in der Textilbranche – und ein ungutes Gefühl über die Entwicklung hin zu einer Wegwerfgesellschaft in Deutschland, die sie so nicht weiter unterstützen wollte.
Gemeinnützigkeit und Freude, sich einer sinnvollen Aufgabe zu stellen, sollten für sie im Vordergrund stehen: „Bereits der Beginn war spannend. Ich habe einen leeren Laden gefunden und damit begonnen, mithilfe des DRK Ortsvereins von Grund auf etwas Neues aufzubauen.“
DER BETRIEB UND SEIN UMFELD
Das Kleiderwerk sollte ein Laden werden, der viele Menschen mit Freude einkaufen lässt. Allen Kundinnen*, besonders denen mit einem Sozialpass, sollte ein Raum gegeben werden, in dem sie sich entfalten und ausdrücken können. Eine Boutique, kein Rumpelkeller sollte es werden. Ein Laden, in dem Menschen sich wohlfühlen und alle auch dasselbe Erlebnis beim Einkauf genießen können. Denn auch die Nachfrage von sozial Benachteiligten nach Bekleidungsartikeln und Textilien nimmt im Kreis Konstanz stetig zu.
Mithilfe eines engagierten Teams wurde diese Vision in dem modernen Gebäude verwirklicht. Dabei hat sich gezeigt, dass sich zwischen Kleidung und Kasse vielmehr ereignet als der Verkauf einer Ware. Das Zwischenmenschliche ist hier deutlich spürbar; es finden Gespräche statt, ohne Zeitdruck, viele Besucherinnen* scheinen sich untereinander zu kennen, tauschen Eindrücke und Alltägliches miteinander aus. So kommt etwa eine Familie mit Kinderwagen vorbei, gibt Kleidungsstücke ab und sagt Hallo. Manch anderer stöbert und äußerst sich begeistert über neue Ware, die hereingekommen ist. Auch Studenteninnen* stöbern hier gerne. Wer noch genauer hinschaut, könnte sogar sagen, dass sich hier im Geschäft ein Querschnitt der Gesellschaft zeigt.
Elke Müller sieht bei ihrer Arbeit die Probleme einer Überflussgesellschaft und das Verhältnis zwischen arm und reich. „Die Mittelschicht hat es ebenfalls nicht leicht in Konstanz.“ Dabei sind es zunehmend Geringverdiener, die knapp über der Grenze zu einem Sozialpass liegen. Gerade deshalb brauche Konstanz dieses Angebot.
DIE IDEE DAHINTER
Jeder sollte das Recht haben, sich ausdrücken zu können. Und das auch durch Kleidung. Kleider machen Leute. Sie bieten uns die Möglichkeit, uns zu repräsentieren. Zum Beispiel bei einem Jobinterview. Durch Kleidung werden Menschen oft einer bestimmten Berufsgruppe oder Gesellschaftsschicht zugeordnet. Oft werden Menschen ausgeschlossen aufgrund ihrer Kleidung oder ihres Aussehens. Sie werden aufgrund ihres Äußeren in soziale Schubladen gesteckt.
Im Kleiderwerk Konstanz kann sich jeder dank der großen Auswahl im Sortiment auch mal ein Markenteil kaufen. Sozialpassinhaberinnen* bekommen alles um die Hälfte reduziert und auch Flüchtlinge erhalten einen Rabatt. Hier soll sich jeder ermutigt fühlen, etwas Passendes für sich zu finden. Ganz gleich ob mit oder ohne Sozialpass.
Secondhand ist im Kommen – und wird für immer größere Teile der Bevölkerung interessant. Es ist nicht mehr allein der Geldbeutel, der bei der Anschaffung gebrauchter Kleidung eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch der Wunsch, nachhaltig mit den Ressourcen der Erde umzugehen.
SO GEHT’S
Wer zu wenig Platz für seine Kleider hat, aus ihnen herausgewachsen ist oder einfach seinen Stil gewechselt hat, kann damit noch anderen eine Freude machen. All diese Kleidungsstücke – im DRK Laden abgegeben – erhalten ein neues zweites Leben.
Alle Sachen, die an den DRK Laden gehen, werden von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen* erst einmal sortiert, geprüft, ausgehangen und aufgehängt. Was nicht mehr zum Verkauf taugt, kommt in den Container für die Katastrophenhilfe des DRK. Alle Erträge fließen ausschließlich in die soziale Arbeit des DRK vor Ort. Dabei werden unter anderem Projekte wie Kinderschwimmen und Seniorengruppen unterstützt. Das Kleiderwerk ist als Non-Profit-Geschäft konzipiert und umgesetzt worden.
DAS TEAM
Keine One-Man-Show! Ohne meine Damen wäre der Laden nicht das, was er ist
Elke Müller
Alle arbeiten hier ehrenamtlich, ziehen am gleichen Strang und tragen gerne einen Teil dazu bei, den Laden aufrecht zu erhalten. Viele Arbeiterinnen* kommen dabei aus der Nachbarschaft, viele begleiteten das Projekt von Anfang an.
An den Kleinigkeiten kann man erkennen, dass der Laden von einem Team geleitet wird, das mit Passion dabei ist. Die Beratung ist sehr persönlich, wenn auch wegen Corona momentan nur mit Abstand. Die ehrlichen Worte erreichen die Kundeninnen* trotzdem. Jeder einzelne Mensch wird hier geschätzt. Niemand wird abgefertigt oder zum Kauf gedrängt.
Warum Secondhand? Was genau ist hier nachhaltig?
Secondhand kommt in der Regel unverpackt. Es muss weder eine neue Verpackung hergestellt werden, noch entsteht durch die erneute Nutzung weiterer Müll. Mit dem Kauf aus zweiter Hand kann man also auch einen guten Beitrag zur Abfallvermeidung machen. Und der Erlös fließt direkt in die soziale Arbeit des DRK in Konstanz.
Und ist es nicht immer wieder spannend, Kleidung aus verschiedenen Haushalten zu sehen? Man bekommt unmittelbar ein Gefühl für vergangene Zeiten und Geschichten sowie für das Leben der Menschen, die die Kleidungsstücke getragen haben. Allein unter diesen Aspekt ist Secondhand schon sehr wertvoll. Wer etwas Bestimmtes sucht oder eine gewisse Vorstellung hat, aber das Passende nicht finden kann – warum soll die- oder derjenige es nicht mal anders versuchen?
Es macht Spaß zu stöbern. Dann das Richtige zu finden, macht doppelt glücklich. Es ist wie ein Schatz, den man anschließend umso mehr zu schätzen weiß. Man kauft keine Kleider von der Stange, sondern Individualität. Oft ergattert man schöne und seltene Stücke, die gar nicht mehr hergestellt werden und schon als Unikat durchgehen können. Es lohnt sich also immer, auch die kleineren Läden aufzusuchen.
UND NUN? HINGEHEN. STÖBERN – UND NATÜRLICH KLEIDER ABGEBEN
Ich höre Elke Müller gerne zu. Jeder würde mir zustimmen, wenn ich sage, dass diese Frau mit Leidenschaft bei der Arbeit ist. Es sind die interessanten Inhalte unseres Gesprächs, die über das Alltägliche hinausgehen und dazu inspirieren, eigene Geschichten zu schreiben. Wer hätte gedacht, dass hinter Textilien so viel mehr steckt. Dass Begriffe wie „Nachhaltigkeit“ oder „Erfolg“ nicht nur das bedeuten, was unter kommerziellen Gesichtspunkten zu erwarten wäre. Dass sich Geschichten, die gelingen, auf der Basis von Ehrlichkeit und Leidenschaft entwickeln.
Mittlerweile ist es draußen dunkel geworden, und es hat angefangen zu regnen. Ich verlasse den Laden mit einem wohligen Gefühl. Blicke zurück zu dem erleuchteten Gebäude und denke mir, wie schön es ist, heute diese Begegnung gemacht haben zu dürfen. Nachhaltigkeit ist viel mehr als nur Umweltbewusstsein. Es sind viele Aspekte, die miteinander verbunden sind und von denen wir alle ein Teil sind. Es bleibt allein uns überlassen, welche Geschichte wir letzten Endes schreiben wollen.