DER HAETTELIHOF
EIN DEMETER-BAUERNHOF, NICHT WEIT VON DER STADT
Wer sich abends bei Nebel mit dem Fahrrad dem Haettelihof nähert, kann sich schon mal verfahren. Doch dann tauchen irgendwann die in den Nebelschwaden nur matt schimmernden Lichter des Hauses auf und weisen dem Ankommenden den Weg. Auch der typische Geruch eines Bauernhofs stellt sich ein. Thomas Schumacher, der Landwirt des Haettelihofs, öffnet die Tür und begrüßt den späten Besucher sehr freundlich. Es ist warm, das Haus duftet nach Holz. „Gleich kommt der Hund, nicht erschrecken“, sagt Thomas Schumacher. Schon ist er da, der große, weiße Hund – und ebenso schnell wie er angerannt kommt, ist er auch wieder verschwunden. Wir gehen ins Wohnzimmer. Am Esstisch sitzt Ute Paluch, seine Frau, die mich ebenso herzlich begrüßt. Sie verpackt und etikettiert Marmeladengläser. Unser Interview kann beginnen.
Von Tadeo Berner
Was ist der Haettelihof denn ganz genau?
Der Haettelihof ist ein idyllischer Demeter-Bauernhof mit einer Mutterkuhhaltung und Landschaftspflege. Im Konstanzer Hockgraben gelegen, ist er nur wenige hundert Meter von der Universität entfernt. Der Bauernhof stellt Lebensmittel wie Fleisch, Eier, Saft und vieles Weitere selbst her. Er bietet ein breites Erfahrungsfeld für Gruppen, Familien und Einzelpersonen an. Direkt angrenzend ist das Café Selma, in dem es im Sommer Kaffee, Säfte und Kuchen für Spaziergänger gibt.
Zu Beginn eine witzige Anekdote von Thomas Schumacher
Am Anfang des Gesprächs erzählt Thomas Schumacher eine kleine Anekdote, die zum Zeitpunkt des Geschehens jedoch gar nicht so lustig war. Sie handelt von einem entlaufenen Kalb. Für gewöhnlich ist es so, dass Kälber bei der Mutter bleiben. Wenn es dann wärmer wird, geht es endlich nach draußen. So auch vor einiger Zeit, als die Kühe auf eine Weide bei Litzelstetten umgesiedelt wurden. Während sich die Kühe über eine neue Weide freuen, wirkt die ungewohnte Umgebung und Situation auf die Kälber oft verunsichernd. Mitunter berühren sie sogar den Stromzaun. Und manchmal gelingt es einem Kalb auch, die Weide zu verlassen. So auch hier. Ein Kalb entkommt. Thomas Schumacher und ein Freund von ihm folgen ihm sofort. Am Ufer des Sees holen sie es schließlich ein, doch bei dem Versuch, es zu fangen, begibt sich das kleine Tier immer weiter ins Wasser. Ganz erstaunt nehmen die zwei Landwirte ein Boot und rudern dem Kalb hinterher, bis es müde wird. Dann endlich können sie dem Tier ein Seil umbinden. Doch nun hört es auf zu schwimmen. Der Landwirt muss das Kalb mit ganzem Körpereinsatz aus dem Wasser ziehen, bis es zuletzt sicher am Ufer ist. Heute können Thomas Schumacher und seine Frau darüber lachen, aber damals war das schon eine anstrengende und aufregende Geschichte gewesen.
Wie es zum Bauernhof kam
Angefangen hat alles in Krefeld. Dort lernten sich die beiden kennen. Sie studierte Objektdesign, er Psychologie. Zuvor hatte er seinen Zivildienst in der Landwirtschaft abgeschlossen und hatte dadurch sein Wissen erweitert. Doch so richtig ging es dann im Jahr 2000 los, als die beiden sich entschieden, an den Bodensee zu ziehen und den landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen. Damals stand dort, wo nun der Demeter-Bauernhof liegt, absolut gar nichts. Die Stadt Konstanz hatte nur ein Problem, und zwar wollte sich niemand um die Bewirtschaftung der Grünflächen kümmern, nachdem es schon so viel Obstanbau in der Region gab. Das änderte sich mit Thomas Schumacher und seiner Frau. Zunächst dachten sie jedoch, dass sie nur Fleisch und Lebensmittel für den Eigenbedarf herstellen würden. Das hat sich inzwischen geändert!
Doch zu Beginn gab es viele Probleme, die es zu meistern galt. Viele Entwicklungsschritte, die sonst über Generationen erfolgen, mussten hier in sehr kurzer Zeit bewältigt werden. Das Veterinäramt klingelte einst an der Tür. „Ihre Kühe stehen im Stall auf kaltem Boden!“, lautete die Mahnung. Der Stall hatte jedoch nur kein Einstreu, die Kühe, mit denen alles in Ordnung war, waren längst auf der Weide. Einmal kam sogar die Polizei vorbei. Und zwar meinte jemand, dass der Bauernhof Abfall auf die Wiesen schmeiße. Glücklicherweise wusste die Polizei aber, dass es sich um Gülle handelte. Es war dem Polizisten sichtbar unangenehm und er entschuldigte sich förmlich dafür, er müsse, sagte er, eben seine „Pflicht“ tun.
DER HAETTELIHOF HEUTE
Inzwischen sind all die Anfangsschwierigkeiten überwunden. Thomas Schuhmacher kümmert sich hauptsächlich um die Landwirtschaft, seine Frau Ute Paluch „baut die Brücken“ zu den Menschen. Es geht schließlich auch darum, Beziehungen herzustellen und Eindrücke zu vermitteln, die Besucher*innen auf dem Hof erleben können. Einen großen Beitrag dazu leistet das Café Selma, welches eine ehemalige Praktikantin leitet.
Überhaupt ist Kommunikation das A und O. Auch wenn es insgesamt nur wenige Mitarbeiter gibt. Sich auch mal zusammensetzen und unangenehme Dinge aussprechen, sei sehr wichtig, damit alles glattläuft, meint Ute Paluch.
Es zeigt sich, wie wichtig eine gute Planung ist, wenn man die tägliche Routine des Hofes kennt. Thomas Schumacher beispielsweise steht schon um vier Uhr morgens auf. Und los geht es. Doch wichtig ist es, dass sich Ute Paluch mit ihrem Mann mindestens eine Stunde am Morgen sehen, um gemeinsam zu reden, zu frühstücken und zu planen, was den Tag über ansteht. Danach füttert Thomas Schumacher draußen zuerst die 60 Kühe und arbeitet dann rund sieben Stunden auf dem Hof. Dann gibt es die erste Mittagspause. Danach folgen weitere sieben Stunden Arbeit.
Vereinfacht gesagt, kümmert sich der Landwirt jeden Tag um 60 Kühe sowie um rund 200 Hühner, welche sich in einem mobilen Stall befinden. Daneben gibt es noch drei Schafe und die schon eingangs erwähnte Hündin Meggie. Die ganze Arbeit verteilt sich auf rund 60 Hektar. Zwei davon befinden sich direkt um das Haus herum, der Rest im Umkreis – in Litzelstetten, Wollmatingen und Oberdorf. Das alles ist nicht in einem Achtstundentag zu erledigen. Tatsächlich summiert sich die ganze Arbeit zu einer 90-Stunden-Woche, die zwar sehr ermüdend ist, aber Thomas Schuhmacher und Ute Paluch dennoch sehr glücklich machen. So anstrengend es sein mag, es ist – um es mal so zu sagen – genau ihr Ding.
Das Abhaken der To-do-Liste tut genauso gut, wie das gemeinsame Essen. Und natürlich ist da diese Freiheit, das zu tun zu können, wofür sie sich entschieden haben, ohne sich um jemanden kümmern zu müssen. Das Verlangen und die Leidenschaft, einen eigenen Hof zu betreiben, hatte Thomas Schuhmacher bereits seit seinem zwölften Lebensjahr, denn sein Vater kam selbst von einem Hof.
DIE WERTE,
FÜR DIE DER HAETTELIHOF STEHT
Auf dem Hof liegt der Schwerpunkt auf der Landschaftspflege. Angefangen hat alles mit Rindfleisch. Nun gibt es Wurst und Fleisch – vom Knochenmark über Hackfleisch bis hin zu Steaks. Es gibt inzwischen auch Streuobstwiesen und natürlich des frischgepressten Saft. Neuerdings gibt es auch die leckeren Bioeier von freilaufenden, sichtbar glücklichen Hühnern. Und es gibt sogar eine eigene Marmelade. Vieles, was hier nicht aufgezählt wurde, ist mitunter im Selbstbedienungsautomaten am Rande des Hofes erhältlich. Er wird täglich frisch befüllt.
Und natürlich sind da noch die bereits angesprochenen Angebote für Groß und Klein zu erwähnen. Etwa die Hofführungen für Familien, Eltern, ältere Leute, Kinder, Schüler*innen und Studenten*innen. Alle, die Interesse haben, sind willkommen. Besucher*innen haben die Möglichkeit, Geburtstage auf dem Hof zu feiern oder in der Heukiste zu entspannen. Auch Kinder und Schulklassen können verschiedene Themen auf dem Hof durchleben.
Treffpunkt ist das Café Selma, ein Ort unter Freiluft mit einer besonderen Atmosphäre. Zu der Zeit des ersten Lockdowns setzten sich Besucher*innen auf die leere Wiese und waren einfach froh darüber, dass sie irgendwo hinkonnten. Hier werden Eltern wie Kinder gleichermaßen bedient. Vielen geht es gar nicht darum, dass hier alles Bio ist. Sie mögen es einfach, hier zu sein!
Doch eigentlich geht es genau darum, denn das ist schließlich die Philosophie des Haettelihofs: Nachhaltigkeit und Vielfalt. Es geht darum, Alternativen zu finden, Erfahrungen zu machen und immer in Bewegung zu bleiben. Es geht um Lebendigkeit und darum, Menschen diese Werte zu vermitteln. Es geht nicht um Perfektion, denn auch der Demeter-Bauernhof ist nicht perfekt. Genau das macht das Ganze ja erst lebendig. So Ute Paluch über die Haltung des Hofes und seine Betreiber*innen. Es ist eine sehr positive Lebenseinstellung, die die beiden auszeichnet. Zu akzeptieren, was auf sie zukommt und stets eine Lösung zu finden für Probleme, sobald sie auftreten.
Wichtig ist ihnen nicht nur das eigene Wohlbefinden, oder das der Besucher, sondern auch das der Tiere. Sie setzen nicht auf gezüchtete Hybridhühner, die in Windeseile Eier legen und schnell wachsen. Sie warten rund ein halbes Jahr länger, bis die Hühner in Ruhe ausgewachsen sind. Und auch wenn diese nicht so viele Eier legen, so geht es ihnen doch sichtbar gut. Das gilt genauso für die Kälber. Anders als in der Massentierhaltung, werden Kälber nicht nach drei Wochen, voll mit Antibiotika, für 30 Euro an das andere Ende Europas verkauft. Sie können in Ruhe aufwachsen, um sich bis zur Schlachtung wohlzufühlen. Es ist geplant, dass es durch eine mobile Schlachtung erfolgen soll. Heißt also, das Tier wird schnell, schonend und schmerzlos im Hof getötet und würde umgehend nach Überlingen zum Schlachthof gefahren, der nur rund 45 Minuten entfernt liegt.
Dafür steht auch das Demeter-Siegel. Mit diesem höheren Standard als EU-Bio werden Produkte zertifiziert, die anspruchsvollen Richtlinien genügen und diverse Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen.
WIE ES MIT DEM BAUERNHOF WEITERGEHT
Der Klimawandel und die Pandemie haben so einiges auf den Kopf gestellt. Dennoch sind Thomas Schumacher und Ute Paluch, offen für alles, was kommt. Sie schauen, wie sich alles entwickelt. Sie wollen bewusst einen Ort der Nachhaltigkeit schaffen und Menschen, die keinen Sinn dafür haben, dafür sensibilisieren, ohne sie zu missionieren. Wie das Café wollen sie noch andere Bereiche schaffen, um ein Zusammenzukommen zu ermöglichen. Zum Beispiel einen Seminarraum. Auch die Lebensmittelproduktion kann noch ausgebaut werden. Für die beiden war es zunächst wichtig, den Hof zu gründen. Nun da der Grundstock gelegt ist, können eventuell auch noch weitere Mitarbeiter dazukommen.
UND JETZT?
Wenn Sie es nicht schon getan haben, schauen Sie doch mal vorbei. Besuchen Sie den Hof und lernen Sie das Angebot kennen. Probieren Sie mal die Eier, die Landjäger oder den frischen Apfelsaft, die in dem stets frisch befüllten Automaten auf der Zufahrt zum Hof erhältlich sind.
Es ist schließlich nicht weit. Gerade mal zehn Minuten sind es mit dem Fahrrad, um aus der Konstanzer Innenstadt zu dem Bauernhof zu gelangen. Genau das verblüfft die Leute immer wieder aufs Neue und genau deswegen kommen sie – wenn sie erst einmal dort waren – immer wieder gerne zurück zum
Haettelihof